Sonntag, 9. Februar 2014

[Buchgedanken] Frank McCourt - Die Asche meiner Mutter

Es gibt Bücher, die muss ich laut lesen. Das heißt tatsächlich, dass ich beim Lesen mir vorlese, was dort steht - in den meisten Fällen, weil ich beim lauten Lesen erst richtig in eine Sprache eintauche und mich in sie fallen lassen kann. Dass ein Buch mich dazu veranlasst, ist ein ziemlich deutliches Qualitätsmerkmal für mich, und deshalb habe ich diesen Monat für meine Lieblingsbücher-Challenge auch ein Buch ausgewählt, das ich nahezu vollständig laut vorlesen möchte.

Frank McCourt wird 1930 in New York geboren. Seine Eltern sind irische Einwanderer, die 1934 nach dem Tod der jüngsten Tochter Margaret beschließen, mit den vier Söhnen zurück nach Irland zu gehen. Der Vater, IRA-Kämpfer und Alkoholiker, schafft es im neuen alten Heimatland nicht, eine Stelle zu behalten und die Familie sinkt immer mehr in eine Abwärtsspirale der Armut. Mit 14 muss Frank seinem Lehrer versprechen, eines Tages zurück in die USA zu gehen und bunkert mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln Geld, bis er mit 21 tatsächlich eine Schiffspassage buchen kann. Mit über 60 schreibt er seine Geschichte auf - wobei "Die Asche meiner Mutter" der erste Teil seines Lebens ist, es folgen zwei Bände über sein Leben in den USA.

Ich kann die ersten zwei Seiten dieses Buches nahezu auswendig widergeben. "Meine Eltern hätten in New York bleiben sollen, wo sie sich kennengelernt und geheiratet haben. Stattdessen sind sie nach Irland zurück, als ich vier Jahre alt war und mein Bruder Malachy war drei und die Zwillinge Oliver und Eugene grade male in Jahr alt und meine Schwester Margaret war tot und weg." Mit diesen zwei Sätzen beginnt Frank McCourt eine Lebensgeschichte, die man niemandem wünscht, und der man in diesem Buch dennoch immer folgt. Erstens, weil man weiß, dass es gut enden muss, schließlich ist es die Geschichte des Autors. Und zweitens, weil McCourt trotz allen Elends nie verbittert über seine Kindheit schreibt. Und das liegt vor allem an seinem sprachlichen Vermögen (im Original) und an der Leistung Harry Rowohlts als Übersetzer. In diesem Buch hat er es geschafft, eine Übersetzung herzustellen, die so wirkt, als hätte McCourt sie selbst geschrieben, wenn er Deutsch spräche. Die im Buch integrierten Lieder und Balladen wurden ebenso rhythmisch übersetzt wie die wörtlichen Reden, alles wirkt glaubwürdig und genau so, als würde man diese Geschichte genau jetzt erzählt bekommen.

Was mir besonders gefällt, ist die Tatsache, dass McCourt die Figuren im Buch nicht groß analysiert, sondern dem Leser einfach Informationen gibt, die er verarbeiten muss. Es fällt schwer, nicht auch Mitleid mit dem Vater Malachy zu haben, der als Nordire in Limerick eigentlich keine Chance kriegt, weil er sowieso eine komische Art hat, und der seinen Frust in Alkohol ertränkt und ohne Alkohol noch weniger kann als mit. Seine Frau Angela ist die stärkere in der Beziehung und gleichzeitig nicht in der Lage, gegen jahrhundertalte Traditionen vom starken Mann aufzubegehren - wenn sie es tut, wird Malachy noch antriebsloser und frustrierter. Franks Sichtweise wird immer mehr von der eines Kindes, das sich die Welt erklärt, zu der eines jungen Mannes, der mehr wissen will als ihm erklärt wird, dieses Aufwachsen macht der Leser innerhalb des Buchs mit. Vielleicht liegt es auch daran, dass das Buch mich so unglaublich mitnimmt und ich zuerst noch heule, dann wütend werde und schließlich mit einem ganz befriedigenden Grinsen gemeinsam mit Frank auf dem Schiff stehe und auf das nächtliche Amerika sehe. "Ist das nicht ein rundherum tolles Land?", fragt ihn der Nachrichtenoffizier an Bord und spätestens jetzt muss ich laut lesen, denn Franks trotziges "Doch." (das kürzeste Kapitel des Buchs und im Original mit dem verschliffenen " 't is" noch viel, viel glaubwürdiger) ist genau das, was ich empfinde. Ein Buch, das mich in so viele verschiedene Gefühle schmeißt, mich darin untergehen lässt und mir am Ende doch noch Hoffnung gibt, muss man immer wieder lesen - und deshalb auch in diesem Monat ein großes Danke für die Challenge, das Wiedersehen mit der Familie McCourt habe ich gebraucht.

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