Mittwoch, 30. April 2014

[Buchgedanken] Wolfgang Herrndorf - Tschick

Maik Klingenberg ist 14 Jahre alt und mehr als nur unglücklich verliebt in die Klassenschönheit Tatjana. Aber wer nicht mal cool genug für einen Spitznamen ist, wird von ihr ungefähr so bemerkt wie Nagelstaub. Als er nicht einmal zu ihrer Geburtstagsparty eingeladen wird, steht fest, dass die Sommerferien nur bescheiden werden können. Zumindest ein Lichtblick ist gegeben: Maiks Mutter ist (wieder einmal) in einer Entzugsklinik und sein Vater wird zwei Wochen mit seiner Assistentin in den Urlaub fahren. Am ersten Tag dieses freien Lebens taucht schließlich Tschick auf. Andrej Tschichatschow, russischer Spätaussiedler und Klassenkamerad von Maik, hat es irgendwie von der Förderschule aufs Hellersdorfer Gymnasium geschafft, aber jeder fragt sich, wie das zuging, da Tschick gerne mal betrunken im Unterricht auftaucht und sein Leistungsspektrum von alptraumhaft bis herausragend alles umfasst. Als nun Tschick bei Maik vor der Tür steht, hat er auch noch einen geklauten Lada dabei und die beiden kommen auf die Schnapsidee, in ebendiesem zu Tschicks Großvater in die Walachei aufzubrechen. Wo die genau liegt, weiß keiner von beiden, Karten haben sie sowieso nicht dabei, also fahren sie einfach nach Süden. Dabei begegnen ihnen verschiedenste Figuren, die man so wohl nie kennenlernen würde, und die beiden lernen zumindest eins: dass mindestens ein Prozent der Menschen gar nicht so schlecht ist, wie man es immer erzählt bekommt.

Ich habe lange einen Bogen um "Tschick" gemacht, weil Jugendlicher auf Roadtrip mich immer zu sehr an das unsägliche "Fänger im Roggen" erinnert, an das ich so ziemlich die schlechtesten Leseerinnerungen hege. Aber nachdem ich "Tschick" vor kurzem im Theater gesehen habe, wollte ich es endlich auch lesen und bin mehr als angetan. Vor allem der Schreibstil sucht meiner Meinung nach seines Gleichen. Während andere Autoren versuchen, Jugendliche exakt abzubilden und dabei in der Wiedergabe von Jugendsprache herausragend scheitern, tut Herrndorf eigentlich das Gegenteil: er will eben nicht wie ein Jugendlicher klingen und schafft es genau dadurch, Authentizität zu erreichen, die zum Niederknien ist. Ob das jetzt die Beschreibung Tatjanas ist - die "insgesamt einfach super" seiende Angebetete - oder tiefphilosophische Unterhaltungen zu Richard Clayderman, man sieht die Figuren vor sich und hört sich so reden. Ohne "ey", ohne "krass" ohne alles. In einem völlig normalen Tonfall schildert Maik das Leben in einer komplett dysfunktionalen Familie, in der der Vater offen seinen Affären nachgeht und die regelmäßigen Aufenthalte der Mutter in einer Entzugsklinik zum Running Gag geworden sind. Maiks unverstellter Blick, mit dem er sich keiner Inllusion über Familienfrieden hingeben will, lässt mich als Leser nicht unbeeindruckt, sondern zieht mich in diese Welt. Und damit wirkt die Geschichte so nachvollziehbar und realistisch, dass ich ihm selbst das ziemlich doofe Ende verzeihe. 

4 Kommentare:

  1. Du Liebe! Du hast bei mir auf www.hautnahblog.blogspot.de zum Welttag des Buches an der Verlosung zu "Das Schicksal ist ein mieser Verräter" teilgenommen - den Hauptpreis hast du zwar nicht gewonnen, aber einen Trostpreis. Dabei handelt es sich um ein Buch deiner Wahl aus einer kleinen Auswahl, die ich dir gern per Mail zukommen lassen würde. So schreib mir doch bitte eine Mail an Lisablumenmaedchen@gmail.com - ich freue mich sehr! Alles Liebe aus Braunschweig, Lisa

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  2. Entschuldige, aber bei dem trivialen Mist den Du Dir antust ist mir durchaus klar, dass Salinger Dir unsäglich erscheint. Ich finde es immer unverschämt wie sich Menschen als große Literatur-Kritiker verstehen, die gewiss nicht einmal Proust in der Hand hatten.

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  3. Na, da bin ich doch froh, liebe Lisa, dass es einen solch gebildeten und der Literatur würdigen Menschen wie dich es hier in diesen trivialen Blog verschlagen hat. Einmal mehr ist bewiesen, dass der Konsument der Höhenkammliteratur in der Lage ist, seine fundierte Meinung zu hoher und niederer Literatur eloquent zu vertreten und auf diese Weise den Pöbel der Belletristik auf den wahren Weg zu verhelfen. Ich danke dir!

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  4. "Tschick" habe ich vor Ewigkeiten gelesen, als Leihgabe von einem Mitschüler am Abendgymnasium, der mir das Buch sehr ans Herz gelegt hat. Ich weiß gar nicht, warum ich es noch nicht rezensiert habe, denn ich erinnere mich, dass ich es wirklich großartig fand. Werde es wohl mal rereaden müssen, damit ich alles wieder im Kopf habe und die Rezi sich leichter schreiben lässt.

    Danke fürs Erinnern an dieses tolle Buch!

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